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Petén: Panela und Pyramiden

Flores ist eine kolonialistische Touristenstadt auf einer Insel im Lago Petén, einem der größten Seen Guatemalas. Die Stadt geht langsam unter. Sie wird auch das Venedig Guatemalas genannt. Ich war jedoch nicht allzusehr beeindruckt. Ich hatte über Couchsurfing die Familie von Kensi Tesuncun in der Nähe gefunden, bei der ich übernachten konnte.

 

Wir kamen um 17h an, dann musste ich erst einmal ein Tuktuk nehmen, um die Insel zu verlassen und zum Busbahnhof zukommen. Ich hatte Glück, noch einen Bus nach San Jose Petén zu kriegen, doch das war mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst.

 

Während der Fahrt dämmerte es; in San José setzte mich der Bus dann vor einem dunklen Haus ab. Kensi wusste, dass ich irgendwann ankommen würde, aber wir hatten uns nicht auf ein genaues Datum geeinigt … Ich hatte also ein paar Sekunden lang Angst, dass vielleicht gerade keiner da ist. Zum Glück waren aber alle da: Kensi, ihre zwei Töchter Naomi und Victoria, ihre Eltern, ihr Bruder Benjamin und ihre Schwester mit einem Baby.

 

Anscheinend gab es gerade keinen Strom. Später erfuhr ich, dass das Geld für den Strom zum Zeitpunkt der Zahlung für eine Krankenhausrechnung verwendet werden musste. Die ganze Familie hatte Bindehautentzündungen gehabt und eine Tochter hatte noch zusätzlich eine Lungenentzündung bekommen. Kensi hatte sich Sorgen gemacht, ob das für mich in Ordnung wäre. Ich fand es jedoch gemütlich, mit Kerzen und Taschenlampen zu hantieren.

 

Eigentlich wollte ich am nächsten Tag die Pyramiden von Tikal besichtigen, die berühmteste Maya-Stätte in Guatemala. Aber dann war Kensis Familie so lieb, dass ich beschloss, den ersten Tag mit ihnen zu Hause zu verbringen. Gekocht wurde auf einem einfachen Holzofen aus Lehm mit einer Kochplatte aus Blech. Zum Essen gab es immer Tortillas, aber sie waren viel dicker als in Mexiko und meine geliebte scharfe Salsa fehlte. Ich ging mit Naomi im See baden, sie zeigten mir den Hof und wir bastelten Tiere und Ketten aus Samen und Draht.

 

Am Nachmittag war ich dann froh, dass ich nicht auf Besichtigungstour losgezogen war: Ein nicht enden wollender Sturzregen fing an. Es hörte einfach nicht mehr auf. Wie Platzregen in Deutschland, nur über drei Tage und mit nur kurzen Pausen. Da war es dann doch etwas unpraktisch, dass die Zimmer der Häuser alle einzeln von außen zugänglich waren, es gab keine Verbindungstüren, und das Klo und die Freiluftküche – nur ein Dach über dem Bereich um den Herd und die Feuerstelle für große Töpfe – standen an anderen Stellen des Hofes. Dass Geräusch es Regens ließ sich auch nicht so gut ausblenden, besonders, da in Guatemala die wenigsten Fenster Glas haben: meistens gibst es Fensterläden und im Glücksfall – wie bei Kensi – ein Moskitonetz. Und meine Wäsche trocknete natürlich tagelang nicht, besonders die nassen Turnschuhe …

 

Mit Ausflügen war also erstmal nichts, schon der Weg von meinem Häuschen zur Küche war jedesmal eine unfreiwillige Dusche. Was tun, wenn‘s regnet: natürlich, ein Buch muss her. Und es lag zum Glück gerade ein spannendes herum. Ich ließ mich also in die Welt Europas zur Zeit des ersten Weltkriegs entführen.

 

Als ich mich dann doch nach Tikal wagte, weil ein Morgen sich sonnig zeigte, kam der Regen doch wieder und meine Regenjacke hatte keine Chance gegen diese Wassermassen. Wir liefen durch Bäche statt Wege und atmeten Wasser. Als Schuhe hatte ich immer noch nur die Flipflops, weil die Turnschuhe sich weiterhin weigerten, zu trocknen.

 

Die Pyramiden waren beeindruckend – besonders, da sie mitten im Urwald sind, aber durch den Vorhang aus Regen und bis auf die Knochen nass konnte ich sie nicht so richtig genießen. Am Abend ging ich in der Stadt an einem Stand Tostadas essen. Anscheinen sind diese Stände, die Tostadas, Empanadas, Getränke und Kuchen verkaufen, typisch für Guatemala. Die Tostadas sind frittierte Tortillas, die mit allen möglichen kalten Saucen und Salaten belegt werden.

 

Dieser Tag endete etwas chaotisch. Da ich die Abfahrtszeiten der Busse nicht wusste, verpasste ich den letzten (18h) und musste dann trampen. Dazu erklärte mir erst einmal ein netter Mensch, wo ich Autos, die in die richtige Richtung fuhren, finden konnte. Ich fuhr also mit einem Tuktuk zum Krankenhaus. Dann fing es natürlich wieder an, zu nieseln. Am Ende nahm mich ein lieber Mensch im Pickup- Truck voller Werkzeuge mit und brachte mich bis direkt vor die Haustür. Ich war jedoch die ganze Fahrt lang in Alarmbereitschaft, es war echt nicht angenehm, im Dunkeln alleine in das Auto eines Fremden zu steigen, aber ich hatte wieder einmal Glück.

 

Nachdem Tikal mich nicht so sehr beeindruckt hatte, versuchte ich es mit der Mayastätte Yaxha. Diese ist um einiges schwerer zu erreichen und abgelegener. Nachdem ein Bus mich an einem Abzweig im Nirgendwo zwischen Flores und Melchor (das ist schon in Belize) abgesetzt hatte, musste ich noch 16km laufen. Einen Teil des Wegs nahm mich ein Motorrad mit. Bei den Pyramiden und Petroglyphen (Steinritzungen) angekommen, war ich erstmal fast die einzige Person. Was schön war, da ich so den Urwald mit seinen Affen und Schmetterlingen alleine genießen konnte, aber es hieß auch, dass ich den Rückweg wahscheinlich wieder laufen musste. Leider war die Insel auf dem See in Yaxha wegen Hochwassers (kein Wunder, wenn es drei Tage am Stück heftig regnet) nicht zugänglich. Ich lief also durch diese eindrucksvolle rekonstruierte Stadt und versuchte, sie mir lebendig vorzustellen. Von einer Pyramide aus gab es einen wunderbaren Ausblick auf den Urwald und den großen See. Letzten Endes kamen dann doch noch Touristen und nahmen mich hinten auf dem Truck mit. Das war laut und ruckelig, aber sehr schnell!

 

Dann kam das größte Abenteuer: auf dem landwirtschaftlichen Hof (Rancho) der Familie Tesuncun in dem Bergen, in San Jacinto, durfte ich helfen, Panela herzustellen. Panela, das ist Rohrohrzucker. Der Weg dorthin auf dem Motorrad war abenteuerlich. Von dem Feldweg war wegen des Regens ein Stück weggebrochen, alles war voller Schlaglöcher und es ging immer entweder bergauf oder bergab. Im Rancho angekommen, bauten wir einen Unterstand aus Holz mit Wellblechdach und eine Feuerstelle für den großen Trog. Wir schliefen in einer aufgebockten Holzhütte, auch diese mit Wellblechdach. Alle Mahlzeiten wurden über offenem Feuer zubereitet; außer dem Reis war fast alles Produkt der Ranch. Wir aßen eh vor allem Reis mit Bohnen und Tortillas.

 

Dann begannen die großen Vorbereitungen für den Tag des Zucker-Kochens: Brennholz finden und transportieren, Zuckerrohr ernsen und spitz zuschneiden, damit es in die Presse passt; das Pferd einspannen,die Presse kalibrieren, das Feuer anzünden. Am großen Tag blieb ich noch eine Weile liegen, während Benjamin und sein Vater schon mit der Stute den Zuckerrohrsaft aus den Stangen pressten und das Feuer anzündeten, um den Saft zu erhitzen. Dann pressten wir stundenlang mithilfe der Stute und der kleinen Presse den Saft aus den Zuckerrohrstangen und füllten die Wanne kochenden Zuckersafts auf, sobald ein bisschen Wasser verdunstet war. Der Saft wird erst zu Melcocha, einer Art Sirup, dann zu Miel („Honig“), und als letztes zur Panela, dem Rohrohrzucker. Dieser ist fertig, wenn ein Tropfen, der gegen eine Oberfläche geworfen wird, ein „Klonk“-Geräusch macht. Es ist wichtig, aufzupassen und immer wieder den Fortschritt zu testen, denn die Schmelze bleibt noch lange flüssig, während sie schon verbrennt. Die Melasse wird dann in Formen gegossen und kühlt über Nacht ab.

 

Als wir wieder zurück ins Dorf fuhren, nahte der Dia de los Muertos, und deshalb wurde mit der Panela Dulce de Ayote zubereitet: kandierter Kürbis. Große Stücken Kürbis werden mit dem Zucker, ein paar Zimtstangen und Wasser in einen Topf gegeben. Das wird dann stundenlang köcheln gelassen.

 

Außerdem gab es Atole (sehr flüssigen Maispudding) mit Panela. Solange die Panela reichte, wurde alles damit gesüßt – der industrielle Zucker durfte ein paar Tage lang das Regal hüten. Ich hab die Panela am liebsten pur genascht.

 

Zum Dia de los Muertos (2. November) wurde dann von jedem zubereiteten Essen etwas auf den schön angerichteten Tisch der Seelen der verstorbenen Vorfahren gestellt. Eingelegtes Obst, Atole, Suppe, Kaffee und Brot. Dazu Blumen. Es gab auch Bollos, die Guatemaltekischen Tamales. Das it ein Gericht aus fester Maismasse, die in Bananenblätter eingewickelt mit Huhn und Tomaten-Chilli-Sauce gegart wird. Alles wurde in den schönsten Tonschalen des Hauses serviert, während sonst immer nur aus Plastiktellern gegessen wurde. Dann wurde eine Kerze angezündet. Sobald diese abgebrannt war, durfte sich jeder am Tisch der Vorfahren bedienen. Die Seelen hatten das Aroma dann schon in sich aufgenommen.

 

Nachts gab es einen Gottesdienst, wo die Namen aller Verstorbenen verlesen wurden und danach eine Prozession mit einem Totenkopf. In der Kirche fiel mir auf, dass es in dem Dorf vor allem fünf wiederkehrende Familiennamen gab. Und ja, Kensi bestätigte mir, dass viele im Dorf ihre Cousins heiraten, um den Namen zu erhalten. Und dann es schwierig war, sich nicht in einen Verwandten zu verlieben.